Hundert Jahre Burgenland, ein aktueller Anlass zur Buchbesprechung.

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100 Jahre Burgenland – „Geschichten aus Gols“ als Zeitzeugnis

Utl.: 1924 geborener und 2010 verstorbener Autor Johann Nittnaus dokumentierte das Leben in einer Seewinkel-Gemeinde im 20. Jahrhundert

Gols/Eisenstadt (APA) – „Geschichten aus Gols“ heißt ein nicht mehr neues, zum 100. Geburtstag des Burgenlandes aber wieder entdecktes Buch, das einen historischen Einblick in das Dorfleben in Österreichs jüngstem Bundesland gibt. Der Autor Johann Nittnaus wurde 1924 geboren, drei Jahre nachdem Deutschwestungarn nach Ende des Ersten Weltkriegs großteils der jungen Republik Österreich zugeteilt worden war. Er war also fast zeitgleich Zeuge des Lebens in einer Seewinkel-Gemeinde im 20. Jahrhundert.

   Seine Lebenserinnerungen verfasste Nittnaus von 1986 bis 1996 und veröffentlichte sie im Eigenverlag. Nach seinem Tod im Jahr 2010 galt das Buch als vergriffen, ehe die lokale Verlegerin Margarete Tischler die Rechte erwarb und es neu auflegte. Nittnaus beschreibt die Entwicklung der zwischen Neusiedl am See und Mönchhof gelegenen Ortschaft Gols aus eigenen Erfahrungen sowie den Überlieferungen von Eltern, Verwandten und Bekannten, die sich an die Zeiten erinnern konnten, als die meisten Häuser noch mit Stroh gedeckte Lehmbauten waren. Vielleicht idyllisch anzusehen, aber eher erbärmlich zum drin leben.

   Er erzählt aus zweiter Hand von der Ankunft des ersten Autos 1908, dem standesgemäß der Habsburger Erzherzog Friedrich entstieg, ein österreichisch-ungarischer Feldmarschall, späterer Heerführer im Ersten Weltkrieg und Großgrundbesitzer. Als junger Mann erlebte er mit, wie fast 50 Jahre später die ersten motorisierten Mähdrescher folgten. Es gab in dem nur wenige Kilometer vom Neusiedler See entfernten Gols aber auch Zeiten, als die Reblaus den Weinbauern die Existenzen vernichtete und manche zur Emigration in die Vereinigten Staaten von Amerika zwang.

   Nittnaus entsann sich aber auch mittlerweile ausgestorbener Berufe wie jenen der Feld- oder Weingartenhüter, der Nachtwächter sowie von weitestgehend verschwundenen Tätigkeiten und Bräuchen wie dem Sautanz oder dem Federnschleißen. Oder von weinseligen Hochzeiten, die bis zum Morgengrauen gefeiert wurden.

   Wobei der Autor aber nicht nur in der Vergangenheit schwelgt, sondern beispielsweise bezüglich der beginnenden Nazi-Herrschaft nichts beschönigt: „Es war der 12. März 1938, 12.00 Uhr mittags, da stand ich auch vor dem Gemeindeamt und war neugierig, was da los war. Es war alles voller Menschen. Nun gingen einige SA-Männer die aufgestellten Reihen entlang und sagten: ‚Jetzt müsst ihr gleichfalls Pfui schreien und spucken!‘ (…) Die Gemeindefunktionäre wurden von zwei SA-Männern und einem Gendarmen verhaftet und ins Gemeindeamt gebracht. Und tatsächlich begann die versammelte Menge ‚Pfui‘ zu rufen und zu toben. (…) Ehrenwerte Männer wurden nun ausgebuht und bespuckt von Leuten, mit denen man nie Streit hatte und immer in Freundschaft verkehrte. (…) Daher kam der Ausspruch: In Gols ist ‚Hosianna‘ und ‚Kreuzige ihn!‘ sehr nahe beieinander.“

   Auch die Situation 1945 kommentierte Nittnaus ohne Verklärung: „Viele, die sicher einiges auf dem Kerbholz hatten“, seien „ungeschoren“ geblieben oder hätten sich ganz schnell wieder neuen Parteien angeschlossen. „Für einige Familien gab es nun wieder große Härten, genau wie 1938, jedoch auf der anderen Seite. In einigen Fällen wurde sogar das Vermögen und der Besitz konfisziert und für verfallen erklärt. Es war bestimmt eine harte Entscheidung. Aber begonnen hatte es 1938 mit den Juden.“

   Nittnaus Buch ist das (subjektive) Erinnerungswerk eines Dorfbewohners, es erhebt und erfüllt keinen allgemeingültigen wissenschaftshistorischen Anspruch. Und doch gibt es einen authentischen Einblick in das Leben in einem burgenländischen Dorf, das wohl getrost als eine Art Pars pro Toto angesehen werden darf.

Buchbesprechung von Dr. Edgar Schütz

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